Nun bin ich in der dritten Woche meiner Auszeit angekommen. Glaube ich. Die Zeit verschwimmt so, wenn man in den Tag hinein lebt. Der Anfang war ziemlich schwierig. (Wie ich schon an dieser Stelle geschrieben habe.)
Ich weiß jetzt, warum Politiker nicht aufhören können. Arbeit strukturiert, verschafft Anerkennung und jede Menge Emotionen, positiver und negativer. Wie beim Fußball. Nur, dass man selbst ran muss.
Wenn das auf einmal weg ist, muss man den Tag aus sich heraus strukturieren. Und mit sich selbst was anfangen können. Alleine. Alle anderen haben nämlich keine Auszeit. Und da stellt sich dann die höchst philosophische Frage: Wer bin ich denn? Ohne Arbeit? Status? Bin ich wirklich ganz alleine jemand? Oder erhalte ich eine Identität nur durch Zugehörigkeit? Und wenn ja, ist das schlimm? Fragen über Fragen. Die ich weder mir noch Ihnen heute beantworten werde.
Also: Die erste Woche meiner Auszeit war so lala. Um nicht zu sagen: Ich kam gar nicht klar. Dann wurde das Wetter besser und meine Laune. Und weil ich mir eben doch was vornehmen muss, habe ich erstmal eine Alkohol-Pause eingelegt und bin gerade dran das Rauchen zu lassen. Ja, ich weiß, letzteres schreibe ich verhaltener. Das Problem ist, ich muss mich selbst überlisten. Wenn ich sage, ich höre auf zu rauchen, kaufe ich mir sofort einen zwei Packungen. Ich muss mich also selbst aufs Kreuz legen, was ungefähr so schwer ist, wie sich selbst auf den Arm zu nehmen. Übergangsweise versuche ich es mit der E-Zigarette.
Und ich habe mir sehr Veranstaltungen und Ausflugsziele heraus gesucht.
Dienstag war ich zum Beispiel mit einer Freundin in der Monkey-Bar. Nachmittags. Im neuen Bikini-Gebäude. Am Zoo Berlin. 10. Stock. Sensationelle Aussicht auf Tiergarten und Zoo hinten und vorne auf die Gedächtniskirche. Das war am Tag, als die Nationalmannschaft hier am Brandenburger Tor war. Die waren natürlich nicht da. Gott sei Dank! Aber Hitzelsberger saß hinter mir. Trank bescheiden ein Wasser und wurde fast von niemandem angequatscht. Berlin halt.
Gestern war ich im Strandbad Wannsee. Feinster Sandstrand. Saß im Strandkorb und fühlte mich wie in den Ferien. Gut, die anderen Berliner auch. War voll, aber nicht so voll wie Malle. Sehr schön, bin sogar geschwommen. Der Wannsee ist nämlich warm. Weil flach.
Ich nicht. Flach meine ich Und deshalb wollte ich es mal sein. Und bin gestern Abend ins BKA-Theater gegangen. Ich sah ein "Neuköllnical" , also ein Musical über Neukölln. (Das Kabarett befindet sich allerdings in Kreuzberg am Mehringdamm, genau neben diesem Gemüse-Döner-Stand, der in allen Berlinführern empfohlen wird und vor dem 24 Stunden lang täglich Schlangen von jungen Menschen stehen, die alle den gleichen Reiseguide gekauft haben.)
Im Neuköllnical ging es um eine Harz IV-Empfängerin namens Edith, die ein Touri-Hostel gründet, mit allem Nepp, den es so gibt. Es kamen natürlich jede Menge Migranten vor, die Türkin in der Burka, der Inder mit nem Imbiss, zwei Frauen, mittelalt und im Leopardenlook und eine ältere Andrea Berg- Imitatorin. Und eine Sächsin. Totale Klamotte. Saukomisch.
Und dann ertappte ich mich dabei, wie ich mitsang: "Atemlos in Neukölln" und: "F.U.T.SCH.I. One for you. One for me!" Mehrmals hintereinander! So kann es kommen in Auszeiten. Und ich war noch nicht mal erschüttert. War einfach nur lustig.
Heute gehe ich als Ausgleich ins Literarische Colloquium Berlin am Wannsee und schaue mir die Lesungen verschiedener Autoren und verschiedener Verlage an. Am Wannsee. Nicht umsonst, aber draußen.
Und nun natürlich die Frage aller Fragen:
Helfen Auszeiten, um danach wieder Spitzenleistungen zu bringen?
Antwort: Ich habe keine Ahnung. Das werde ich später erfahren. Eines aber ist klar. Auch Auszeiten brauchen Struktur. Irgendeine. Und sie sind eine Herausforderung. Freiheit ist relativ!
Und braucht Humor. Wie eigentlich das ganze Leben. Weil einfach nie etwas so ist wie einem immer alle versprochen haben!
Huch! Innehalten! Inspiration! Viel Freude mit der Auszeit.
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